Wenn Profis etwas lernen wollen, fragen sie Profis. Eine von ihnen ist Anna von Boetticher. Wenn es um das Tauchen ohne Luftversorgung durch Tauchgeräte – das sogenannte APNOE Tauchen – geht, ist sie der Ansprechpartner in Deutschland. Anna ist die Beraterin aller Tauchereinheiten der Marine, auch die der Kampfschwimmer. Hier das exklusive Interview mit KSA.DE.
KSA.DE: Was ist eigentlich Apnoetauchen?
Anna von Boetticher: Apnoetauchen als Sport bedeutet, mit nur einem Atemzug so lange wie möglich, so weit wie möglich oder so tief wie möglich zu tauchen. Dabei ist sicher die Tiefe der schönste Teil des Sports. Zu erleben, dass man seinen Körper und seinen Geist an den Lebensraum Wasser anpassen kann, ist schon eine einmalige Erfahrung. Es gibt natürlich noch andere Varianten von Apnoe. Harpunenfischer, Perlentaucher und Schwammtaucher halten zum Beispiel bei ihrer Arbeit die Luft an. Darum geht es: das Wort Apnoe kommt aus dem Griechischen und heißt so viel wie „ohne Atem“.
KSA.DE: Wie sind Sie selbst zum Apnoetauchen gekommen?
Anna von Boetticher: Ich tauche schon sehr lange, war schon als Kind fasziniert vom Gedanken, Unterwasser zu sein. Ich habe als Tauchlehrerin im Ausland gearbeitet und da ich jemand bin, der gerne neue Herausforderungen sucht, habe ich angefangen extreme Dekompressionstauchgänge bis in 130m Tiefe mit Trimix zu machen. Man taucht mit einem Helium/Luft Gemisch und vier oder mehr Flaschen und muss auf dem Weg nach oben Dekompressionsstops einhalten. Bei einem Problem kann man nicht auftauchen, man muss es lösen. Ich wollte Erfahrung in Apnoe sammeln um mich selbst Unterwasser besser kennen zu lernen und mich mental weiter zu verbessern. Dafür habe ich in einem 28m tiefen Tieftauchtopf auf einer Marinebasis in England einen Apnoe-Wochenendkurs belegt. Nach zwei Stunden war ich auf dem Boden angekommen und vollkommen fasziniert von diesem Erlebnis. Sechs Monate später konnte ich alle drei deutschen Tiefenrekorde brechen und bei der WM in Ägypten Bronze holen.
KSA.DE: Sie hatten bei einem Weltrekordversuch einen Unfall – was ist da passiert?
Anna von Boetticher: In unserem Sport gibt es im Grunde wenig Unfälle und Verletzungen. Es kann aber immer mal passieren, dass einem der Sauerstoff ausgeht – dann wird der Taucher ohnmächtig. In der Regel geschieht das an oder kurz vor der Oberfläche, wenn man schon eine Weile unterwegs war und vor allem der Wasserdruck plötzlich abfällt. Natürlich versuchen wir, das immer zu vermeiden, aber man kann durchaus einen schlechten Tag erwischen oder sich auch mal überschätzen. Die Ohnmacht an sich ist nicht so schlimm, wenn einen der Sicherungspartner aus dem Wasser fischt, wacht man wieder auf und hatte meistens einen schönen Traum! Problematisch wird es, wenn Leute alleine tauchen. Wer alleine im Wasser ohnmächtig wird, ertrinkt. Dazu reicht auch das Schwimmbad oder die Badewanne zu hause. Deshalb meine Bitte: niemals – auch nicht zum Spaß – alleine Luftanhalten, Strecken- oder Tieftauchen üben! Man braucht immer einen Partner, der einen sichert. Bei meinem Unfall hatte ich einfach Pech: durch einen kleinen Fehler hatte ich bei einem Weltrekordversuch in 130 Metern Tiefe von der Maske Druck auf den Augen. An sich war das nicht schlimm, ich wusste allerdings nicht, dass dieser Druck den sogenannten „Augen-Herz-Reflex“ auslöst. Dabei interpretiert der Körper den Druck auf den Augen als Überdruck im Kopf und versucht, diesen zu senken. Lässt der Druck nicht nach, fällt der Puls immer weiter, bis man ohnmächtig wird. Das ist mir leider in etwa 40 Metern Tiefe passiert – zum Glück war ich aber sehr gut gesichert, wurde schnell an die Oberfläche gebracht und habe das Ganze unbeschadet überstanden.
KSA.DE: Mentale Stärke ist sehr wichtig in ihrem Sport. Bei welchem Ihrer Erfolge haben sie die meiste Kraft gebraucht? Welcher war besonders schön?
Anna von Boetticher: Im Zuge des eben angesprochenen Unfalls brach eine Lawine von Anfeindungen im Internet und in der Szene über mich herein. Wir hatten in der Szene zu dem Zeitpunkt eine Diskussion darüber, ob die Disziplinen, bei denen man mit dem Schlitten taucht, zu gefährlich seien. Dazu muss man sagen, dass dieser Unfall in jeder Disziplin passiert wäre, es war einfach fehlendes Wissen – keiner von uns hatte je vom „Augen-Herz-Reflex“ gehört. Es ist natürlich mental nicht einfach, sich von so einem Unfall zu erholen, da hilft es nicht, wenn man auch noch angefeindet wird. Vier Wochen später hatten wir Tiefen-WM, bei der ich eigentlich einfach ohne Druck wieder ins Wasser wollte, Freunde sehen, das Tauchen genießen, keine Ansprüche stellen.
Als ich dort ankam, ging der ganze Zirkus aber direkt weiter. Ich konnte kaum trainieren, da ich auch noch erkältet war. Egal wie sehr ich mir sagte: es ist nur für dich, hör nicht auf die Leute – ich konnte das Gefühl, etwas beweisen zu müssen, nicht abschütteln. Das ist ein enormer Druck, der nie gut ist, aber direkt im Anschluss an ein so extremes Erlebnis wirklich sehr schwierig. Am Ende dachte ich mir: na dann, los. Ich funktioniere im Grunde immer gut unter Druck und bringe unter größter Herausforderung und unter schwierigsten Bedingungen meine beste Leistung. In dieser WM bin ich unter den Augen aller bei übelstem Wetter zwei deutsche Rekorde getaucht und habe eine Bronzemedaille geholt – an einem Tag, an dem 60 Prozent der Athleten versagt haben. Das war mit Sicherheit mein schwerster Erfolg, der meine ganze mentale Stärke gebraucht hat. Einer meiner schönsten Erfolge ist nach wie vor der Weltrekord in „Tandem No Limits“, bei dem man zu zweit mit einem Schlitten taucht. Sich in 125 Metern Tiefe mit meinem Tauchpartner und Trainer Andrea Zuccari die Hand zu schütteln, ganz ohne Stress, war schon ein besonderes Erlebnis.
KSA.DE: Worin liegt für Sie, ganz persönlich, die besondere Faszination, die dieser Sport ausübt?
Anna von Boetticher: Für mich treffen sich hier meine Faszination mit dem Ozean und der Tiefe der Meere mit dem Sport. Ich treibe gerne und viel Sport, aber das „reguläre Tauchen“ hatte damit wenig zu tun. Bei Apnoe muss ich ab einem gewissen Punkt auch körperlich hart trainieren, um weiter zu kommen. Das macht mir enorm Spaß! Am Ende sind es aber immer wieder die Magie der Tiefe und das Erlebnis Ozean, welche mich anziehen. Bei uns gibt es kein oder wenig Geld zu verdienen – wer nicht am Tauchen an sich, auch ohne Rekorde oder Medaillen, größte Freude hat, sollte sich fragen, was er tut. Ich bin der Meinung, man sollte die Begeisterung für eine Sache in sich tragen. Anerkennung von außen sowie sportlicher Erfolg ist immer nur ein Moment und am Ende wenig wert.
KSA.DE: Gibt es beim Apnoetauchen auch Begegnungen mit Lebewesen wie zum Beispiel Haien?
Anna von Boetticher: Ich habe bei meinen Tauchabenteuern schon viele Haie gesehen! Vom einfachen Riffhai bis zu Schulen von 200 Hammerhaien oder einem vier Meter großen Tigerhai war alles dabei. So eine Begegnung ist immer wunderschön und ein großes Glück. Bei einem meiner letzten Wettkämpfe kreiste ein zweieinhalb Meter großer Weißspitzen-Hochseehai fast zwei Stunden um unsere Leinen. Diese Haie werden bis zu vier Meter groß, man sieht sie relativ selten. Während meines Aufwärm-Tauchgangs zog er Kreise um mich herum in etwa zwei Metern Abstand. Eine ziemliche Ablenkung!
KSA.DE: Sie leben in Berlin, dort kommen Sie so schnell nicht ans Meer. Wie oft trainieren Sie?
Anna von Boetticher: Das ist sehr unterschiedlich, da ich den Sport ja „nebenbei“ ausübe, also nicht so viel trainieren kann, wie ich gerne möchte. Wenn ich in Berlin bin, habe ich vor allem im Winter eine intensive Fitness-Trainingsphase als Vorbereitung für die Saison. Wenn möglich trainiere ich dann fünf- bis sechsmal die Woche in meiner Crossfit Box bei Spree Crossfit. Es macht mir immer großen Spaß, mich hier körperlich zu verausgaben, da das Apnoe-Tiefentraining vor allem auch aus vielen Ruhepausen besteht. Außerdem ist meine eigene Fitness etwas, was ich zu einem gewissen Grad kontrollieren kann, im Gegensatz zu äußeren Umständen, wie z.B. dem Wetter am Wettkampftag. Meistens kann ich für maximal vier bis sechs Wochen am Stück zum Tiefentraining fahren. Da trainiere ich dann fünf Tage die Woche in einem Rhythmus von drei Tagen Training, einem Tag Ruhe, zwei Tagen Training, einem Tag Ruhe. Das funktioniert gut, mehr Training wäre zu viel, denn die Belastung des Tieftauchens auf den Körper ist enorm.
KSA.DE: Was haben Sie sich für das nächste Jahr vorgenommen?
Anna von Boetticher: Ich bin gerade mitten drin, alle tauchenden Bereiche der Marine zu begleiten um dort die Ausbildung nach Bedarf zu verbessern. Das ist ein großes Projekt und fordert meine ganze Aufmerksamkeit. Es ist auch eine große Herausforderung, denn hier brauche ich all meine Erfahrung um wirklich im Detail Probleme zu erkennen und Vorschläge zu machen. Es macht mir enorm viel Spaß und ich wurde in allen Bereichen, von Ausbildern wie von Lehrgängen, sehr positiv aufgenommen. Diese Arbeit geht 2017 weiter und wird Zeit von meinem Training stehlen! Ich habe mir schon überlegt, dass ich in Zukunft immer morgens, bevor der Lehrgang startet, schnell mit einem der Ausbilder als Sicherung eine Runde Streckentauchen trainieren muss. Ansonsten haben wir im August Tiefen-WM, dort würde ich gerne einen neuen deutschen Rekord im Tieftauchen mit Flosse aufstellen – es ist Zeit, dass ich meine 81m auf 85-90m verbessere.
ANNA VON BOETTICHER im Internet: http://annavonboetticher.blogspot.de