„Solche Soldaten gibt es in der ganzen Bundeswehr nicht“

MathesiusKSA.DE: Herr Kapitän zur See Mathesius, am 1. April feiert die Kampfschwimmerkompanie ihren 50. Geburtstag. Sie sind seit über zwanzig Jahren aktiver Kampfschwimmer und haben neben den Verwendungen in der Kampfschwimmerkompanie als Zug-/Teamführer und Kompaniechef, als stellvertretender Kommandeur der Waffentauchergruppe und als stellvertretender Kommandeur und Kommandeur der Spezialisierten Einsatzkräfte Marine sowie in Ihren Verwendungen im Ministerium und im NATO Special Operations Coordination Centre / NATO Special Operations Headquarters Entwicklungen mit direkten Auswirkungen für die Kampfschwimmer so zu sagen hautnah miterlebt. Wenn sie die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte resümieren, was ist ihrer Meinung nach von besonderer Bedeutung für das heutige Selbstverständnis der Kampfschwimmer und ihrer Rolle innerhalb der Bundeswehr und im Bündnis?

THORSTEN MATHESIUS: Möchte man das heutige Selbstverständnis „Kampfschwimmer“ erläutern so muss man in die Anfangszeit der Kampfschwimmer der Bundeswehr zurückblicken und diese mit den Rahmenbedingungen von heute vergleichen. Um jedoch diese Rahmenbedingungen einordnen zu können sind die Entwicklungen in der NATO während und nach der Balkan Krise entscheidend. Führt man diese Aspekte zusammen, dann wird der vollzogene Wandel zur neuen Rolle und besonderen Bedeutung der Kampfschwimmer innerhalb unserer Streitkräfte und innerhalb der NATO deutlich.

Die Kampfschwimmerkompanie wurde in der Anfangsphase unserer Streitkräfte aufgestellt. Auftrag und Aufgabenspektrum der Kampfschwimmer war strikt an den damaligen Erfordernissen ausgerichtet. Die Überlegung und Planungen der NATO zur Verteidigung des Bündnisgebietes diktierten folglich auch den Auftrag und die Aufgaben der Kampfschwimmer. In der Operationsplanung der Marine waren sie ein fester Bestandteil. Kampfschwimmer sollten durch ihre besonderen Fähigkeiten maritime Operationen unterstützen. Dazu gehörten Aufgaben im Bereich der Erkundung oder Spezialaufklärung, insbesondere von Stränden und Vorstränden oder von Anlagen mit besonderer Bedeutung für militärische Operationen. Hinzu kamen Aufgaben zur Durchführung von militärischen Operationen, also den direkten Einsatz, gegen militärische Objekte, wie feindliche Schiffe oder Anlagen. Es galt durch diese gezielten Operationen den Feind so zu schädigen, dass Zeitfenster für ungehinderte Operationen eigener Kräfte entstehen. Schon damals „triphibisch“ ausgerichtet konnten die Kampfschwimmer aus der Luft, über Land oder über Wasser kommend – und natürlich tauchend – an ihren Einsatzort gelangen. Sollten sie es nicht mit eigenen Mitteln schaffen, so war die Nutzung von Schiffen, Booten, U-Booten oder Luftfahrzeugen – heute würde man sagen „Enablern“ vorgesehen.

Wichtig ist hier jedoch festzuhalten, Kampfschwimmer wurden zu dieser Zeit immer als eine rein nationale Fähigkeit gesehen, die die Seekriegsmittel der Marine bei ihrer Auftragserfüllung unterstützten. Mit diesem Grundverständnis stand Deutschland damals nicht allein. Alle NATO Partner sahen ihre Verbände oder Einheiten mit besonderen Fähigkeiten grundsätzlich als eine rein nationale Fähigkeit. Dieses Verständnis wurde im Grundsatz bis zur Balkan-Krise auch nicht in Frage gestellt. Im Rahmen der laufenden Einsatzauswertung der unterschiedlichen Operationen von Spezialkräften auf dem Balkan wurde jedoch Handlungsbedarf immer deutlicher. Es fehlte ein im Bündnis abgestimmtes Verständnis zur spezifischen Rolle von Spezialkräften und natürlich zum Verhältnis von Spezialkräften zu den herkömmlichen Kräften.

Einfacher gesagt: Im multinationalen Umfeld gab es keine abgestimmte Definition, die festlegte was eigentlich Spezialkräfte sind, wofür sie eingesetzt werden, wer für die Führung dieser Kräfte und damit für Absprachen und Koordination mit anderen Kräften im Operationsraum verantwortlich ist. Der Grundstein wurde mit der „NATO Special Operations Policy“ im Jahre 1999 gelegt. Erstmalig wurde festgelegt, dass Spezialkräfte (Special Operations Forces / SOF) ein Mittel der strategischen Ebene für Operationen mit strategischer Bedeutung sind. Die Spezialkräfte werden durch ihre Nation als solche benannt und hierfür besonders ausgewählt, organisiert, ausgebildet und ausgerüstet. Neben weiteren grundsätzlichen Aussagen zu Führung, Verfahren, Zusammenarbeit mit herkömmlichen Kräften, etc. wurden hier auch die drei „Principal Tasks“, die grundsätzlichen Einsatzarten der Spezialkräfte festgelegt. Zu den uns bereits bekannten zwei Einsatzarten, „Special Surveillance and Reconnaissance“, also Spezialaufklärung, und „Direct Action“, der direkte Einsatz, kam nun eine dritte Einsatzart hinzu, „Military Assistance“.

„Military Assistance“ bezeichnet den militärischen Unterstützungseinsatz in Aufnahmestaaten zur mittelbaren oder unmittelbaren Hilfe zur Verbesserung der inneren und äußeren Sicherheit und Stabilität von Aufnahmestaaten. Diese Einsatzart wurde erst in den letzten Jahren im Rahmen des Engagements der deutschen Spezialkräfte in AFGHANISTAN auch in Deutschland bewusst wahrgenommen. Die  „NATO Special Operations Policy“ legte so aber auch den Grundstein zur „Internationalisierung“ der Spezialkräfte. Sie konkretisierte den Prozess der Zusammenarbeit und der Führung von Spezialkräften. Sie schaffte die Voraussetzung, dass Spezialkräfte verschiedener Nationen bei NATO Operationen durch speziell befähigte Hauptquartiere geführt werden. Der hierfür erforderliche Prozess der Abstimmung und Harmonisierung von Vorschriften, Verfahren, Anforderungsprofile, Ausbildungen, etc. wurde eine eigenständige Aufgabe innerhalb der NATO. Die  „NATO Special Operations Policy“  wird kontinuierlich den Erfahrungen aus Einsätzen und Übungen angepasst.

Eine Folge dieses Prozesses de „Internationalisierung“ ist unter anderem die Aufstellung des NATO Special Operations Headquarters, des NSHQ. Das NSHQ ist ein multinationaler Stab der Spezialkräfte der NATO Partner und der NATO engverbundenen Nationen – in dem übrigens auch zwei Kampfschwimmeroffiziere/Kampfschwimmerstabsoffiziere Dienst tun. Dieser Stab bildet den zentralen Ansprechpartner in der NATO für alle Angelegenheiten, die Spezialkräfte oder Spezialoperationen betreffen und wird durch einen Drei-Sterne General geführt. Zugleich ist der Kommandeur NSHQ als „Director of Special Operations“ in diesen Bereichen der direkte und einzige Berater des Obersten Alliierten Befehlshabers Europa (NATO). Dieser Prozess verdeutlicht die besondere Bedeutung der Spezialkräfte innerhalb unseres Bündnisses. Die Fähigkeiten von Spezialkräften liegen im Focus der NATO und der Ausbau von Fähigkeiten, wie die Schaffung der Voraussetzung zur Führung von Spezialoperationen oder zur Unterstützung dieser Operationen mit Luftfahrzeugen hat innerhalb der NATO höchste Priorität. Was bedeutet dieser Prozess für die Kampfschwimmer? Er ist bestimmend für ein neues Rollenverständnis.

Die Veränderung von Seekriegsmittel „Kampfschwimmer“ zum Kampfschwimmer als Spezialkräfte Marine oder treffender der Spezialkräfte für Operationen im maritimen Umfeld mit Einfluss auf die Wahrnehmung Deutschlands im Bündnis. Mit der stetigen Steigerung der besonderen Bedeutung der Spezialkräfte für das Bündnis NATO erfolgte zugleich auch national eine Neubetrachtung der Spezialkräfte der Bundeswehr. Der Grundsatz bleibt: Die Kameraden des Kommando Spezialkräfte (KSK) sind im besonderem Maße für Operationen an Land befähigt. Die Kampfschwimmer decken in besonderem Maß den Einsatz im maritimen Umfeld ab. Dieses Verständnis spiegelt sich natürlich wieder in der Bereitstellung von Kampfschwimmern und deren spezifischen Unterstützungskräften zur Unterstützung des KSK bei der in nationaler Verantwortung liegenden Lösung von Geisel-, Entführungs- oder Bedrohungslagen im maritimen Umfeld. Zugleich erfolgte mit diesem Verständnis auch die Anzeigen Deutschlands zur Gestellung von Spezialkräften gegenüber der NATO und der Europäischen Union (EU).

Für die Kampfschwimmer heißt es nun, es sind durchgehend zwei Einsatzgruppen Kampfschwimmer bereitzuhalten. Eine für die nationale „Risikovorsorge“, also zur Unterstützung des KSK, und eine Einsatzgruppe als nationaler Beitrag für NATO bzw. EU Operationen. Das bedeutet eine deutliche Veränderung für das Rollenverständnis und die Bedeutung der Kampfschwimmer. Ihr Beitrag ist festgelegt, sowohl für den Schutz unserer Staatsbürger im Ausland im Rahmen der nationalen Risikovorsorge als auch als international anerkannter Beitrag für die NATO/EU. Die Kampfschwimmer sind so im Focus unserer militärischen Führung. Ihre „triphibischen“ Fähigkeiten sind nun sowohl von nationaler als auch internationaler Bedeutung. KS_Jubilaeum_4

KSA.DE: Herr Kapitän zur See Mathesius, sie haben die besondere Bedeutung des NSHQ herausgestellt. Im NSHQ sind aktuell 25 Nationen vertreten, 23 NATO Partner und zwei Nicht-NATO Nationen. Wie sie erwähnten, sind in diesem multinationalen Stab auch zwei Kampfschwimmer. Das Arbeiten mit multinationalen Partnern ist ja für die Kampfschwimmer nicht neu.  Welche Bedeutungen hatten oder haben internationale Partnerschaften für Kampfschwimmer?

THORSTEN MATHESIUS: Wir springen nun von der großen „strategischen Bühne“ NSHQ auf die taktische Ebene zu unserer Kampfschwimmerkompanie zurück. Die Zusammenarbeit auf der taktischen Ebene, also auf der Ebene von Einheiten oder Verbänden, hatte und hat für Spezialkräfte eine herausragende Bedeutung. Spezialkräfte sind in ihrer Ausprägung oft innerhalb ihrer eigenen Streitkräfte so spezifisch, dass sie hier nur wenige Partner zum Erfahrungs- und Informationsaustausch oder zum Üben finden. Für die Kampfschwimmer gilt dies im besonderen Maß. Sie sind nicht nur ausgebildet als Fallschirmspringer, für den Landkampf und in diversen Spezialisierungen sondern auch im taktischen Tauchen mit Kreislaufgeräten. Solche Soldaten gibt es in der ganzen Bundeswehr nicht. Selbst innerhalb der NATO gibt es nur wenige Soldaten oder auch Einheiten, die so ein umfassendes Fähigkeiten-Portfolio abdecken.

Als vor gut 55 Jahren die Ausbildung der ersten Kampfschwimmer begann wurde auf die Erfahrungen der französischen Kampfschwimmer des Commando Hubert zurückgegriffen. Deshalb waren zum Beispiel die Kampfschwimmer der Bundeswehr von Anfang an triphibisch ausgerichtet. Die Erfahrungen unserer französischen Kameraden aus dem Indochina-Krieg führten unter anderem auch dazu, dass der „Landkampf“ immer fester Bestandteil der Ausbildung zum Kampfschwimmer war und ist. Mit dem Commando Hubert bestehen seit dem übrigens ein gutes partnerschaftliches Verhältnis und ein durchgängiger Erfahrungsaustausch bis heute. Genauso eng ist unsere Zusammenarbeit mit den Spezialkräften der US Marine, den SEALs. Neben dem Personalaustauschprogramm, das einzelne Soldaten ermöglicht über mehrere Jahre in der Partnereinheit Dienst zu tun,  finden über das Jahr mehrere gemeinsame Übungen und Ausbildungsvorhaben statt. Zusätzlich hat sich, neben anderen Partnerschaften wie zu den Niederländern, eine äußerst enge und fruchtbare Zusammenarbeit mit unseren Partnern im Norden, den Spezialkräften der dänischen oder norwegischen Marine, entwickelt.

Diese Partnerschaften leben vom Erfahrungsaustausch durch gemeinsame Übungen auf der taktischen Ebene, der sogenannten Trooper Ebene. Hier treffen sich die Spezialisten, wie Scharfschützen, Feuerwerker oder Sanitäter, die Medics, ebenso wie Gruppen- und Teamführer oder die Soldaten und Führer der spezifischen Unterstützer. Während der praktischen Übungen zeigen und erklären sie, wie sie ihre Erfahrungen umgesetzt haben, wo Verfahren angepasst worden sind oder warum neue Systeme eingeführt wurden. Diese Zusammenarbeiten auf der untersten taktischen Ebene finden natürlich ihre Fortsetzung  in der täglichen Arbeit auf den nächsten Führungsebenen bis hin zum NSHQ. KS_Jubilaeum_2

KSA.DE: Zurück in den Norden Deutschlands, zum Heimatstandort der Kampfschwimmer, zurück nach Eckernförde. Aktuell wurden die Kampfschwimmerkompanie und ihre spezifischen Führungs- und Unterstützungselemente aus dem SEKM herausgelöst und als neuer Verband Kommando Spezialkräfte der Marine (KSM) aufgestellt. Was bringt diese neue Struktur?

THORSTEN MATHESIUS: Als ich das erste Mal davon hörte, fühlte ich mich ein wenig in meine Anfangszeit als Kampfschwimmer zurückversetzt. Ende der 1980er bzw. Anfang der 1990er war die selbstständige Kampfschwimmerkompanie auch ein rein auf die mit dem Namen verbundene Fähigkeit ausgerichtete Einheit. Als ich später von Gliederung und Stärke des Verbandes Kommando Spezialkräfte der Marine erfuhr, hat sich dieses Gefühl mit einem leicht negativen Beigeschmack verstärkt. Auch die damalige Kampfschwimmerkompanie war in einer ähnlichen personellen Stärke der Einsatz- und Unterstützungskräften aufgestellt. Damals war jedoch der Auftrag bezüglich der zu stellenden Fähigkeiten, Kräfte und Mittel nicht so vielseitig, eindeutig und bindend vorgegeben.

Für mich erscheint deshalb die besondere Herausforderung in der Erfüllung dieses Auftrages, des sogenannten „Level of Ambition“, zu liegen. Der Ansatz mit nur vier Einsatzteams, einer kleinen organischen Unterstützungskomponente und der Personalstärke des Stabes die erforderlichen zwei Einsatzgruppen Kampfschwimmer durchgehend verfügbar zu halten erscheint mir äußerst ambitioniert.

Ich gehe aber davon aus, dass die für diese Entscheidung in der Marine erfolgte Grundlagenarbeit die spezifischen Herausforderungen entsprechend berücksichtigt hat und der Kommandeur KSM durch seine Marine die bestmögliche Unterstützung erfährt. Letztendlich gilt es, dass unser Inspekteur der Marine gegenüber seiner militärischen Führung und der politischen Leitung anzeigen kann, dass er den ihm gegebenen Auftrag zur Gestellung der zwei Kampfschwimmer Einsatzgruppen erfüllt.

KSA.DE: Herr Kapitän zur See, sie haben ausgeführt wie sich in den 50 Jahren das Rollenbild der Kampfschwimmer veränderte. Wohin wird ihrer Meinung nach die weitere Entwicklung gehen?

THORSTEN MATHESIUS: Die Bedeutung von Spezialkräften hat sich gewandelt. International, insbesondere innerhalb der NATO, haben Spezialkräfte eine besondere Fokussierung erfahren. Fast alle NATO Partner haben diesem Prozess durch nationale Maßnahmen Rechnung getragen. Dies erfolgte bei unseren Partnern unteranderem durch eine Anpassung der Führungsorganisation, Aufstockung des Personals und Priorisierungen oder besondere Berücksichtigung bei Beschaffungsvorhaben. Ich glaube, dass auch innerhalb unserer Streitkräfte dieser Prozess ansteht. In diesem Prozess werden die Kampfschwimmer ihre feste Position als die Spezialkräfte für den Einsatz im maritimen Umfeld haben und die erforderliche Unterstützung erfahren.

KSA.DE: Zum Geburtstag gibt es normalerweise Geschenke und Wünsche werden erfüllt. Nun wird man nicht alle Tage ein halbes Jahrhundert alt. Was würden Sie den Kampfschwimmer wünschen?

THORSTEN MATHESIUS: Ich wünsche zu allererst, dass unsere Kammeraden stets gesund an Leib und Seele aus ihren Einsätzen und von ihren Übungen zurückkehren. Für den weiteren Weg zum KSM wünsche ich meinen Kameraden in Eckernförde eine engagierte und zielführende Unterstützung durch unsere Marine. Nur so werden sie ausreichend Zeit haben sich auf dem international anerkannt hervorragend hohem Einsatz-Niveau zu halten und sich bestmöglich auf ihren nächsten Einsatz vorzubereiten.

KSA.DE: Herr Kapitän zur See, wir Danken für das Gespräch. KS_Jubilaeum_1

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